Ghana

„Der Standard“, 9. Juni 2006



Woher kommt die Aschantinuss?

“Kill your speed not an antilope”, lautet die poetische Formulierung an der Einfahrt des Mole National Park. Nur in seltenen Fällen gibt sich das ghanaische Englisch derartige Blößen. Seine gutturale, raue Aussprache erzeugt ein sympathisch legeres Idiom, das dazu beiträgt, Ghana zu einem einfachen Reiseland zu machen. Der Park mit 600 schwarzen Elefanten ist ein Rückzugsgebiet der Tierwelt. Doch so unberührt und schwer erschließbar der Nordwesten mit seinen gemütlich-überfüllten Provinzzentren Bolgatanga und Wa sich zeigt, so klar liegt auf der Hand: Ghana ist keine klassische Naturdestination.

Die 18 Millionen Einwohner teilen sich in fünfzig Volksgruppen, die siebzig Sprachen sprechen – Problematik und Stärke eines unhomogenen Staatsgebildes. Einst waren die ethnischen Gruppen an der Haartracht zu erkennen, inzwischen hat Ghana die erfinderischsten Friseure der Welt, die meisten praktizieren am Straßenrand. Die Kolonialgrenzen der Region laufen Nord-Süd, die tribalen und ethnischen Verläufe orientieren sich tendenziell west-östlich. Das verschafft Ghana eine interessante Dualität: Im Süden das Küstengebiet mit der Hauptstadt Accra (2 Millionen Einwohner), wo sich die Mehrheit zum Volk der Ewe zählt, nördlich davon das Gebiet der Aschanti mit der Metropole Kumasi (1,5 Millionen Einwohner), von vielen als eigentliche Hauptstadt bezeichnet.

In Mitteleuropa lebt das Wort „Aschanti“ oder „Aschantinuss“ in erster Linie als Synonym, Südghana war einst klassisches Anbaugebiet von Erdnüssen. Zweites lokales Klischee ist die Kategorisierung als “kriegerisches Volk”, gerne unter Verweis auf mehrere bewaffnete Auseinandersetzungen der Aschanti mit den Briten (1826-1896), die in Wahrheit ebenso sehr das kriegerische Volk gewesen sein könnten. Beide Verdachtsszenarien sind begründet: Auch die Aschanti hatten zweihundert Jahre lang die Großregion beherrscht, als Schutzmacht, die Steuern nahm, aber „ihren“ Völkern weitgehend die Verwaltung überließ.

Weil sich bei Kumasi Handelswege kreuzten (Routen von Timbuktu und der Sahelzone nach Nigeria), insbesonders jedoch wegen der Goldvorkommen florierte die „Aschantiföderation“. Kumasi ist auch heute der Warenumschlagplatz Ghanas. Trotz des kriegerischen Rufs seiner Bewohner erweckt der in einer Talsenke liegende Markt im Stadtzentrum – der größte Westafrikas – einen friedlichen Eindruck. Im Herzen der Stadt werden neben Erzeugnissen aller Art außergewöhnliche Lebensmittel angeboten – so Kriechtiere mit spitzen Häusern und der fleischigen Körperform von Weinbergschnecken, aber zehn Mal so groß und schwer.

Trotz des muslimisch geprägten Handels sind 80% der Bevölkerung christlich, und Kumasi präsentiert seinen Volksglauben offen: Auf einer verlassenen Baustelle hängt das optimistische Transparent “Jesus is coming soon”, ein Café wirbt mit der Aufschrift “Heaven Café – No credit” und ein Glühbirnenladen nennt sich mit großer Selbstverständlichkeit “Only God Kwows Electricals”, während der Beauty Salon gegenüber “God´s Way” heißt. Auf drei Söhne ist die Stadt besonders stolz: Kofi Annan, UNO-Generalsekretär, Samuel Kuffour, Fußballstar, John Agyekum Kufuor, der aktuelle Präsident.

Einst erstreckte sich das Aschantireich bis zum Meer, wo die Portugiesen 1482 in Elmina (damals São João de Mina) den ersten europäischen Stützpunkt an der Goldküste errichtet hatten. Vom perfekt erhaltenen Fort nahmen im 16. Jahrhundert die europäischen Raubzüge ihren Ausgang. Im 17. Jahrhundert erkämpften sich die Niederländer Elmina, durch den Verkauf der Festung an die Briten (1874) lösten sie einen der Kriege aus, weil die Aschanti auf ihrer Oberhohheit beharrten. Heute liegen Traumstrände entlang der Küste in Richtung der alten Hauptstadt „Cape Coast“, angesichts starker Strömungen für Besucher können sie aber rasch zum Alptraum werden – Einheimische baden grundsätzlich nie, den Kindern ist der Sprung in die Wellen unter Strafe verboten.

In fünfzig Kilometer Entfernung befindet sich der Kakum Nationalpark. Tiere sieht man zwar untertags keine, aber in luftiger, dampfender Höhe von bis zu 50 Metern schaukeln sieben besteigbare Hängebrücken. Die Besucher gehen auf halsbrecherisch schmalen Brettern und halten sich an schaukelnden Seilen fest. In Schulterhöhe gibt es links und rechts ein Netz, auf dessen Fangkraft man sich aber nicht verlassen will.

„Gold Coast Colony“ lautete der Name der Kronkolonie, die Teil Britisch Westafrikas war, und die Straße begleitet diese Goldküste, nach Accra, der wachsenden Metropole am Golf von Guinea, wegen guter natürlicher Voraussetzungen – ein gesünderes Klima als Cape Coast – ab 1877 Hauptstadt Ghanas. Das Geschäftsleben Accras spielt sich großteils auf den Straßen ab, fliegende Händler balancieren Bauchläden und Rollgefährte durch den mörderisch stockenden Verkehr, der Smog und Staus so konzentriert produziert, als würden Orden verliehen für die größten und schönsten unter ihnen.

Accra wurde als ultra-„europäische“ Stadt angelegt, Hafen- und Handelszentrum, Brennpunkt von Politik, Business, moderner Architektur. Die Briten errichteten einst in der Vorstadt eine „Native Town“ – was sie tatsächlich erhielten, war ein Widerstandsnest gegen die Kronkolonie. Die „Accra-Riots“ (1948) führten zum Ende der europäischen Vorherrschaft (1958), zur „Independence Now!“-Bewegung des großen Panafrikanisten Kwame Nkrumah, und zur ersten Unabhängigkeit eines schwarzafrikanischen Landes. Heute sind alte Viertel wie Jamestown, Usher Town und Victoriaborg die „afrikanischen“, auch wenn die zahlreichen Kreisverkehre das städteplanerische Konzept aus London entlarven. Aschantis fühlen sich hier übrigens nicht besonders wohl: viele passieren Accra nur auf dem Weg zum Internationalen Flughafen.


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