Quappen, Zeppeline und das Paradies

Am westlichen Bodensee beginnt der Rhein – nach schifffahrtlichen Maßstäben. Rund um Konstanz ist viel los.

Die Statue, die sich an der Hafeneinfahrt himmelwärts reckt, starr, hoch, erinnert an Conchita Wurst bei ihrem berühmtesten Auftritt. Logisch, denn die Einheimischen nennen ihre Stadt bekanntlich „Conch-Tanz“, jede andere Aussprache ist rund um den Bodensee inakzeptabel. In Wirklichkeit zeigt das neue Wahrzeichen nicht Conchita, sondern Imperia. Neun Meter hoch, 18 Tonnen schwer, dreht es sich seit 1993 auf seinem Rundtisch. Die verführerische Kurtisane hält in ihren Händen zwei männliche Zwerge mit den Insignien der geistlichen und weltlichen Macht – natürlich sind die Figuren nicht Papst und Kaiser, behauptet zumindest Künstler Peter Lenk. Um Himmels Willen! Konstanz, um die 100.000 Einwohner, ist eine katholische, doch aus deutscher Sicht immer noch gottgefällige Stadt. Aber eben auch eine liberale. Anderswo wäre die Installation der weltweit größten Statue einer Prostituierten niemals möglich gewesen. Religion ist in Konstanz immer eine Debatte wert, allein schon wegen jener Versammlung der Kirchenführung, die im hafennahen Konzilsgebäude mit Blick auf den See stattfand und sich gerade zum 600. Mal jährt.

Der See, der Apfel und der Zeppelin. Östlich von Bregenz wissen die wenigsten, dass „Bodensee“ (benannt nach dem Ort Bodman) der Begriff für zwei nebeneinander liegende Seen ist, dem Obersee und dem deutlich kleineren Untersee. Nach dem Konzil nannte man den großen auch Konstanzer See. Auf Rätoromanisch hielt sich diese Bezeichnung bis heute.

Der See trägt eindrucksvolle Zahlen vor sich her. Er ist Trinkwasserreservoir für 4,5 Millionen Menschen, lässt 60.000 Motor- und Segelboote auf sich schwimmen, jährlich eine Viertelmillion Vögel überwintern, und er berührt drei Länder. Die Wassermenge des Bodensees begünstigt den Obstanbau – fast jeder dritte deutsche Apfel stammt aus einem der 1.600 Obstbaubetriebe der Region. Dazu beherbergt das Wasser an die vierzig Fischarten, vom Aal über den Hecht bis zur Quappe. 1,5 Millionen Kilo Fischmaterial jährlich werden von den 150 Berufsfischern (ein Zehntel davon aus Vorarlberg) herausgeholt.

Der Bodenseefelchen ist das Hauptziel der Fischerei, jeder zweite gefangene Fisch heißt aus Menschensicht so. Diesen Felchen findet man hauptsächlich auf den Tellern der Fischlokale am Ufer wieder. Je sauberer sich der See in den letzten Jahren präsentiert, desto rückläufiger ist jedoch das Vorkommen des Felchen, da die Abwässer des 20. Jahrhunderts das Wachstum seiner Lieblingsnahrung begünstigt hatten, Algen und Plankton. Heute wird der Bodensee zunehmend zu dem, der er einst war, einem nährstoffarmen Voralpensee. Das kann verständlicherweise nicht jedem Fisch schmecken. Die Seeforelle mag es, und sie floriert.

An der Alten Rheinbrücke zwischen Konstanz-Altstadt und Petershausen-Ost befindet sich nicht nur der Rheintorturm und der Ausfluss des Obersees, sondern auch der Rheinkilometer Null. In Fließrichtung verläuft der Strom jedoch Alpenrhein – Obersee – Seerhein (also in Konstanz) – Untersee – Hochrhein und dann endlich nur mehr Rhein. Es ist nicht so, dass der Rhein an dieser Stelle tatsächlich begänne, man hat sich nur darauf geeinigt, um einen schifffahrtstechnisch relevanten Nullpunkt zu setzen.

Der Seerhein stellte einst die Nordgrenze des Römischen Reichs dar, aber es wäre nicht Konstanz, wenn es nicht an diesem Flussstück „das Wasserwunder“ gegeben hätte, belegt von zeitgenössischen Augenzeugen. Am 23. Februar 1549 hob und senkte sich der Seerhein in kurzen Abständen abwechselnd um Meterhöhen – der Bodensee pendelte sozusagen hin und her, wobei das Wasser rückwärts floss. Heute erklärt man das Wunder mit dem seltenen Phänomen einer „Stehenden Welle“ (oder Seiche) – weil man heute eben alles erklären muss.

Wer die Konstanzer Bucht in entgegengesetzter Richtung verlässt, berührt den Überlinger See, die Spitze des Bodensees in den Nordwesten. Sie wird von vielen als eigener Kulturraum betrachtet, der in etwa auf der Höhe der Fährverbindung nach Meersburg beginnt und die Blumeninsel Mainau (knapp zweihundert Einwohner, jährlich aber 1,5 Millionen Besucher) in sich trägt – die ihrerseits zum Stadtgebiet von Konstanz gehört.

Friedrichshafen, zweitgrößte Stadt am See, liegt knapp außerhalb des Überlinger Bereichs. Der Katamaran aus Konstanz dockt direkt vor dem Zeppelin-Museum an. Von Friedrichshafen verließ am 12. Oktober 1924 der legendäre Flug LZ 126 Europa. Das Luftschiff durchquerte Stürme und Gewitter, fuhr 8.050 Kilometer und landete 81 Stunden und zwei Minuten später unbeschadet in Lakehurst, New York, wo es gleich eine Konfettiparade auf dem Broadway gab. In der Begeisterung der deutschen Gazetten lag die Wiedererrichtung nationaler Ehre durch deutsche Ingenieurstechnik, wenige wiesen darauf hin, dass der praktische Zweck dieses Flugs die Übergabe des Zeppelins als Reparationszahlung an die USA war. Friedrichshafen verlor seine Vormachtstellung als Weltstadt der Aviation, nachdem dreizehn Jahre später die „Hindenburg“ (LZ 129) in Lakehurst bei einem missglückten Landeversuch in Flammen aufging – der letzte Schlag gegen die Zeppelintechnik.

Gute und böse Grenze. Konstanz, das nach dem römischen Kaiser Constantius Chlorus (um 300) heißt, liegt zwar in Baden-Württemberg, aber Zürich ist kulturell und eisenbahntechnisch viel näher – es lebt von seiner Grenzlage zwischen den Großräumen. Das geht so weit, dass der Stadtteil südlich der Altstadt eine eigene Kleinstadt bildet, die in der Schweiz liegt, Kreuzlingen, 20.000 Einwohner. Deutscher oder Schweizer sein, das macht einen Unterschied, denn letztere können sich bei Einkäufen in Konstanz die Mehrwertssteuer rückvergüten lassen. Je näher sich der Franken an den Euro annähert, desto mehr Schweizer reisen an. Das produziert eine lebendige Innenstadt, an Einkaufstagen Schlangen und im Volk eine dezente Eidgenossenfeindlichkeit.

Wo einst der „Festungsgürtel Kreuzlingen“ war, liegen jetzt die Grenzanlagen offen. Vor gar nicht allzu langer Zeit waren nicht nur die Mehrwertssteuern unterschiedlich, sondern lag hier die Grenze zwischen Leben und Tod. Beim Emmishofer Zoll steht das Denkmal für Georg Elser (1903-1945, in Dachau auf Hitlers Befehl erschossen), der 1939 im Münchner Bürgerbräukeller das misslungene Attentat verübt hatte und beim Versuch, die rettende Schweiz zu erreichen, an der Schwedenschanze festgenommen wurde: „Ich hab’ den Krieg verhindern wollen.“

Große Hus-Mania. Konstanz setzt dieser Tage alles auf seinen berühmtesten Besucher, dessen Ankunft 600 Jahre her ist. Der südböhmische Priester Jan Hus (1369-1415) fand sich im November 1415 freiwillig beim Konzil ein, um sieben Monate später auf einem Scheiterhaufen im Stadtteil „Paradies“ verbrannt zu werden. Zur Tragik der Geschichte trägt bei, dass ihm der römisch-deutsche König Sigismund freies Geleit zusichert hatte.

Jan Hus durchquerte mutig Deutschland, auf dem Weg begeisterten seine Predigten die Menschen. Die Grundlage der Kirche sei die Bibel, nicht der Papst. Und Kleriker sollten bei Verfehlungen auch vor weltliche Gerichte gestellt werden. Die Aussicht auf einen Auftritt vor dem Konzil, in dem das Schisma der Kirche (drei Päpste) aufgelöst werden sollte, die Möglichkeit, quasi beim Gipfeltreffen der katholischen Welt zu disputieren, hielt den Zögernden am Wandern. In Konstanz angekommen, predigte er weiter, was ihn in den Kerker brachte. Hus, der endlich der theologischen Vernunft zum Durchbruch verhelfen wollte, wurde angeklagt. Der Schnellprozess im Münster Unserer Lieben Frau kippte, als er seinen Thesen nicht mediengerecht abschwor, wozu er am Scheiterhaufen die letzte Chance erhielt.

Dass Jan Hus standhaft blieb, war das große Glück für Konstanz, das vom vorevangelischen Märtyrer zehrt und heuer, ein bisschen zum Dank für seine Tat, das „Jahr der Gerechtigkeit“ ausgerufen hat. Der Hussenstein, 1862 an dem Ort errichtet, wo der Prediger verbrannt worden sein könnte, symbolisiert den Beginn seines Siegeszugs. Der Stein ist auf der einen Seite Hus, auf der anderen seinem auf der Flucht eingefangenen und später getöteten Mitstreiter Hieronymus von Prag (1379-1416) gewidmet und steht an einer unauffälligen Kreuzung im Stadtteil Paradies. Zu ihm pendeln seit mehr als einem Jahrhundert patriotische und neugierige Tschechen. Das Hus-Haus am Stadttor wurde in den Zwanzigerjahren sogar von einem Konsortium tschechischer Banken gekauft. Drin betreiben die Tschechen ein dreisprachiges Museum, in dem Besucher ihren Ketzerfaktor berechnen lassen können.

Religion ist im liberalen Conch-Tanz das große Thema, noch 2015 kommt kaum ein Gespräch ohne sie aus. Man kann recht lange mit jemanden völlig weltlich Wirkenden zusammensitzen – der sich dann mit den fröhlichen Worten verabschiedet: „Ich geh jetzt zum Betkreis!“

1 Unterkunft

Gästehaus Centro, www.gaestehauscentro.de;  am Bahnhof und ganz undeutsch günstig, Bahnhofsplatz 4, D-78462 Konstanz.

RIVA Konstanz, www.hotel-riva.de; schickes Hotel im bürgerlichen Teil der Stadt an der Seepromenade, zwischen Jachthafen und Casino, Seestraße 25, D-78464 Konstanz. 

 Steigenberger Inselhotel, www.steigenberger.com/konstanz; auf der Dominikanerinsel, einer der kleinsten Bodensee-Inseln (246x100 Meter), durch einen Stadtgraben von der Altstadt getrennt, das Steigenberger ist in einem früheren Kloster untergebracht. Interessant: Während des Konzils war Jan Hus hier über drei Monate im Kerker untergebracht, außerdem verstarb der byzantinische Diplomat Manuel Chrysoloras (1353-1415) – sein Grabplatte befindet sich im zentralen Hotelgebäude. Karl der Große stieg in Vor-Hotel-Zeiten auch schon auf dieser Insel ab; Auf der Insel 1, D-78462 Konstanz.

Die „Konzilpauschale“, also das Pauschalangebot der Konstanzer Hotels anlässlich des Konzils findet man unter:

http://www.konstanz-tourismus.de/themen/konziljubilaeum/konzilpauschalen.html

Tourist-Information Konstanz, info‎@‎konstanz-tourismus.de, +49 7531/133030

2 Restaurants

Konzil-Gaststätten, www.konzil-konstanz.de, Küchenchef Manfred Hölzl bietet im ehemaligen Konklave-Saal auch (nach Vorbestellung) mäßig mittelalterliche Küche (essbar, mit Renaissance-Einsprengseln) an. Hafenstraße 2. D-78462 Konstanz,

Tamaras Weinstube „Zum Guten Hirten“, www.tamaras-weinstube.de; mit hervorragenden Dünnele; Reservierung unter Tel. +49 7531 284318 nötig; Zollernstraße 8, D-78462 Konstanz.

Voglhaus-Café, www.das-voglhaus.de; Kuchen mit Dinkelmehl nach den Prinzipien der Hildegard von Bingen dazu „die schönste Toilette der Stadt“ im Keller mit Vogelgezwitscher; Wessenbergstraße 8, 78462 Konstanz.

3 Turm

240 Bismarcktürme (Aussichtstürme und Feuersäulen) gab es in Deutschland, einer der netteren und höchsten (22 Meter) steht seit 1912 in Konstanz auf dem Raiteberg, anders gesagt in den Weinbergen, auf 452 Metern Höhe. Er ist etwas heruntergekommen, war lange sympathisch von Funkern und einem Amateur-Radioclub bewirtschaftet. Bismarck hat allerdings nie einen Fuß in die Stadt gesetzt.

4 Tagesausflug

Mit dem Katamaran für 10 Euro die knapp einstündige Strecke nach Friedrichshafen. Didaktisch recht gut gemacht und mit vielen Kleinigkeiten, zeigt das Museum den verlorenen Wettlauf des Zeppelins mit dem Flugzeug. Zeppelin-Museum, www.zeppelin-museum.de, Seestraße 22, D-88045 Friedrichshafen.

5 Palmenhaus

Nicht weit vom Hussenstein (der Hinsichtungsstätte) und einen Abstecher wert: eine einst heruntergekommene, 2009 renovierte Orangerie aus 1923 mit einem Goldfischteich in der Mitte, betrieben von der Tschechischen Republik, die hier auch Zimmer für Stipendiaten bereitstellt. Das ist gut für die jungen Tschechen, denn Konstanz ist ein teures Pflaster, Mietwohnungen unter 1.000 Euro monatlich sind Mangelware, WG-Zimmer gibt es von 500 Euro aufwärts. www.palmenhaus-konstanz.de

 6 Gewürzanwendung

In der Innenstadt betreibt die Agraringenieurin Brigitte Alberti ihren besonderen Gewürzshop, die Spezialistin lädt auf Anfrage zu interessanten Gewürzmenüs und erklärt gerne, welcher Pfeffer keiner ist; Sigismundstraße 6, 78462 Konstanz, www.gewuerzschatulle.de

7 Der Roman zum Konzil

Der Krimi zur Stadt ist schon in der 6. Auflage. Eine Serienmörder-Suche auf achthundert Seiten mit Lokalkolorit und historischer Expertise. Historiker Henry Gerlach, im privaten Gespräch ein freundlicher Mann mit Bart, hat ihn mit seiner Frau geschrieben, einer erfahrenen Krimiautorin – eine gute schreiberische Verbindung mit klaren Machtverhältnissen. Gerlach trauert halt noch immer der Chance nach, die eine oder andere Figur zu beseitigen.

Monika Kübler, Henry Gerlach, In nomine Diaboli, Ein Kriminalroman aus der Zeit des Konstanzer Konzils, Gmeiner Verlag 2013.

Der Autor wurde eingeladen von der Tourist-Information Konstanz, www.konstanz-tourismus.de und der Konzilstadt Konstanz www.konstanzer-konzil.de