Martin Amanshauser

Letzte Worte in Killiecrankie

Die schmalen Nebenstraßen, das ist Schottland. „You´ll take the high road and I´ll take the low road and I´ll be in Scotland before you”, heißt es nicht zufällig im populären Volkslied. Wo Mohn am Straßenrand blüht, und von weither die Melodie eines Dudelsacks ertönt. Eine solche Low Road befährt man, um den Schuppen zu erreichen, in dem Fin und Hamish Moore, Sohn und Vater, ihre Werkstatt aufgebaut haben. Die beiden stellen Dudelsäcke (“Great Highland Bagpipes”) her, wenige Dutzend im Jahr, und außer dem Grundmaterial aus Afrika ist alles daran schottisch: Pfeife, Rohrblatt, Luftsack. Eile und Hast lohnt sich nicht in diesem Business: Die Moores führen eine ordentliche Warteliste, und im Jahr 2009 geht gar nichts mehr. Sie leben auch das, was sie produzieren – Fin Moore trifft sich ein paar Mal die Woche mit Freunden, um die selbst gebauten Sackpfeifen zu spielen. Am liebsten spielt man die Instrumente im Freien – denn richtig bedient sondern sie erschreckend laute Geräusche ab, da der Grundton stabil bleibt und die Melodie drübergespielt werden muss. (Die EU will schon längst einen verpflichtenden Gehörschutz für Dudelsack-Musiker festlegen.)

Wie sieht der Luftsack aus? Schottisch, meist mit Tartan-Stoffen überzogen, jenen unverwechselbaren Karomustern, deren Machart die Zugehörigkeit zu einem Clan anzeigen – Clann ist ein gälisches Wort. Brian Wilton, Tartan-Experte, erzählt, wie die Cochranes, Abercombies, Kinkades, Armstrongs und Macintyres durch das einzigartige Muster auf ihren Kilts kenntlich sind. Brian beschäftigt sich mit Traditionen, aber er ist kein Traditionalist – und will auch die im Raum stehende Frage nach der offiziellen Bekleidung der Männer unterhalb des Kilts nicht endgültig klären: „Das wird einem immer wieder von Frauen gefragt – meist von Nicht-Schottinen.“ Er runzelt die Stirn: „Wir sind da undogmatisch. Das hält jeder so, wie es ihm passt!“

Brian macht nicht nur Öffentlichkeitsarbeit für die Stoffe mit den bunten Fäden, sondern er erklärt auch das Copyright-System. Im Internationalen Tartan-Index wird jedes neue Muster als Unikat festgelegt. Bisher gibt es über 5.000 Registrierungen. „Jeder kann seinen Tartan designen – und wir prüfen, ob es den bereits gibt oder nicht. Tartans haben eine enorme Variationsbreite – nur äußerst selten müssen wir einem Antragsteller mitteilen, leider nein, der existiert schon.“ Fest steht, der Kilt ist Männersache: „Schauen Sie sich die klobigen Formen an … Wenn Frauen sich so kleiden, dann machen sie es nur einmal im Leben. Der Tartan trägt auf. Er passt einfach nicht zu weiblichen Gesäßen.“ Traditionell genug, dass es keine weiblichen Bestrebungen gibt, sich in die Tartans zu drängen, ist Schottland sowieso.

High Road oder Low Road? Eine extrem schottische Frage. AC/DC, australische Hardrock-Band mit Glaswegischen Wurzeln, spielt die Melodie des Volksliedes auf Konzerten als Gitarren-Intro, und das Volk singt mit: „Where me and my true love will never meet again / On the bonnie, bonnie banks of Loch Lomond.“ Der Mann, der diese Lyrics zuerst sang, Donald McDonald, wartete vor 250 Jahren auf seine Hinrichtung, eine Situation, in der ihm der Loch besonders glanzvoll erschien – doch die Küsten und Inseln des größten See Schottlands sind tatsächlich bezaubernd.

Mittlerweile weiß jeder, dass Loch nicht Loch heißt, sondern die gälische Bezeichnung für einen See ist. In Schottland gibt es ungefähr 30.000 Lochs – kein Wunder bei 6.000 Flusssystemen. Die Flüsse tragen Namen wie Tay, Lion, Don, Dee oder Tweed, sie durchziehen das Land wie dünne Adern und ergießen sich in Meer oder Loch. Die internationale Loch-Popularität verdankt man Nessie, der Wasserschlange von Loch Ness, nicht weit von Inverness, ein Monster, das seit über 150 Jahren gelegentlich gesehen und nie entdeckt wird. Die eindrucksvollsten Fotos entstanden 1933 bis 1934, doch man mutmaßt, dass es sich um einen schwimmenden Elefanten aus einem nahebei gastierten Zirkus handelte. Obwohl es 2007 wieder eine Sichtung gegeben haben soll, sind die Schotten mittlerweile skeptisch. „Auch wenn da früher was im Loch Ness drin war, jetzt ist da sicher nichts mehr.“ Sonaruntersuchungen erwecken kaum Hoffnung, dass der spektakulärste Tourismusmagnet der Kryptozoologie dereinst in voller Pracht als neue Spezies vor die Kameras der Weltpresse tritt.

Inverness heißt nichts anderes als „Mündung des Ness“, ein Fluss, der nur 12 Kilometer lang ist, aber Teil des Kaledonischen Kanals. Der trennt den Nordwesten Schottlands mit seiner fjordischen Küstenlinie – 69% der UK-Küste zählen zu Schottland – von den zentralen Highlands. Kaum jemand weiß: Auch im Zentrum, wenige Viertelstunden von Edinburgh entfernt, ist Kaledonien (auf Gälisch auch Alba) in seiner ganzen Vielfalt zu genießen, sozusagen ein Mikromodell der schottischen Scholle. Auch in der Mitte, namentlich in der Grafschaft Perthshire, staunt man über Lochs – wie den Loch Tay hinter Aberfeldy.

Das archäologisches Freilichtmuseum „The Scottish Crannog Centre“ hat eine der Baum-Konstruktionen aus dem See zu neuen Leben erweckt – vor 2.600 Jahren lebten hier Kelten auf künstlichen Pfahlbau-Inseln mit Zugangsstegen knapp über dem Wasser. Ganze Familien bestritten in der relativen Sicherheit der schwimmenden Hausburgen ihr Leben – mit einer Feuerstelle in der Mitte und dem Vieh in einer Stall-Abteilung. Wieso Pfahlbau? Hier gab es keine Rattenplage, hier konnte man sich im Fluss- und Moorgebiet auch in Schlechtwetterperioden zurückziehen. Im Crannog-Zentrum wird die Existenzform der Vorfahren, die sich bis in die frühe Neuzeit hielt, wieder lebendig – mit Hilfe von Unterwasser-Archäologie. Reste von Crannogs gibt es überall im UK, manche von ihnen sind doppelt so alt wie jene am Tay, doch nirgends ist die Archäologie – mit Erlebnischarakter – so fortgeschritten wie hier.

How goes the day, Gentlemen? Die Stadt Dundee, in der Tay-Mündung, trägt den gleichen Namen Bonnie Dundees, des Grafen und Highlanders und Kriegshandwerkers mit den feschen Locken (er soll Wickler getragen haben). 1689 führte er seine Truppen bei der Schlacht von Killiecrankie zum Sieg – auf der Seite von King James VII. Vorausreitend verrutschte seine Brustplatte und er wurde von einer Kugel getroffen. Dundees Truppen gewannen Oberhand, doch er selbst gab allmählich seinen Geist auf. An einem Baum lehnend fragte er die hilflosen Helfer: „How goes the day, Gentleman?“ Pikiert antwortete man ihm: „Fine for King James, your lordship!“ Bonnie Dundee sackte zusammen und bilanzierte: „So it goes fine for me as well.“

Bei Geschichten wie der von Killecrankie wundert es niemanden, wieso die Schotten Whiskey brauchen. Nahe von Pitlochry betreibt Andrew Symington die kleinste Destillerie des Landes, die „Edradour“ aus dem Jahr 1825. Er achtet dabei darauf, dass das kulturelle Erbe, die alten Maschinen und Techniken, bestehen bleibt. Geht etwas kaputt, ersetzt er es durch identische Replika. Der Whisky schmeckt – allerdings lehrt die Erfahrung, dass man nicht zu viele Sorten hintereinander kosten sollte. Ist Whisky nicht per Definition ein ruinöses Getränk? Andrew verzieht keinen Gesichtsmuskel: „Gar nicht. In Maßen getrunken ist er gesund – er reinigt von innen.“ Und er selbst, trinkt er jeden Tag Whisky? „Selbstverständlich! Ein oder zwei Gläser schaden nichts.“

In den mittleren Highlands wird gejagt. Blair Castle betreibt eine Forest Lodge, die von Hobby-Jägern tage- oder wochenweise gemietet werden kann – von hier aus führt der frühere Jagdtreiber Sandy Reid per Land Rover auf Highlandsafari. In den Räumen von Blair Castle liegt indes die Brustplatte des Helden Bonnie Dundee. In späterer Zeit hat man ihr ein Loch (nein, kein See, ein Einschussloch) beigebracht, um die Dramatik des Ereignisses zu unterstreichen, doch es gilt als gesichert, dass die Kugel während seines ungestümen Vorpreschens von der Seite eindrang.

Perthshire ist ein Land der Burgen und Schlösser. Atholl Palace dient heute als Hotel und Restaurant, Blair Castle mit seiner Hirschgeweihsammlung eignet sich als Hochzeits-Location, Schloss Glamis wurde hingegen von Daniel Defoe wegen seiner Größe mit einer ganzen Stadt verglichen – heute finden auf seinen Wiesen regelmäßig Highland Games statt. Diese Mischung aus Sportveranstaltung und Volksfest bietet unolympische Disziplinen: im Seilziehen, Baumstammwurf, Steinstoßen und Schottischem Hammerwurf treten die Clans gegeneinander an – doch verwahren sich die Schotten strikt gegen Gerüchte, es gäbe bei ihnen auch Handy- und Zwergenweitwurf. Glamis ist ein echtes Geisterschloss, mit einem sinistren „Duncans Saal“, in dem Duncan von Macbeth ermordet worden sein soll. Niemand weiß, wie es genau zuging, jedenfalls hat Shakespeare einen grimmigen Ort zum Schauplatz gewählt. Sogar der furchtlose Sir Walter Scott meinte einst nach einer Übernachtung: „Ich muss zugeben, dass ich, als nach dem Abschied meines Führers eine Tür nach der anderen hörbar zuging, den Eindruck bekam, dass die Lebenden zu weit weg und die Toten ein wenig zu nahe waren.“

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Der Autor war eingeladen von „Visit Britain“ und www.visitscotland.com/de. 2009 feiert Schottland das „Year of the Homecoming“, das größte Clan-Treffen aller Zeiten auf Edinburgh Castle und der 250. Geburtstag des Nationaldichters Robert Burns („Auld Lang Syne“) , www.homecomingscotland.com

Touren: Timberbush-Tours, ein Familienbetrieb, der Fahrten von Glasgow und Edinburgh in die Highlands organisiert, www.timberbush-tours.co.uk

Hotels:

Zufahrt über Edinburgh: Apex Waterloo Place, 23 Waterloo Place, Edinburgh, www.apexhotels.co.uk/hotels/edinburgh-waterloo-place

Atholl Palace Hotel, Pitlochry, Perthshire, www.athollpalace.co.uk

Blair Castle, Pitlochry, Perthshire, www.blair-castle.co.uk

Stationen:

Crannog Center, Loch Tay, Führungen von 1. April bis 31. Oktober, und an Novemberwochenenden

Buchhandlung und Café The Watermill, Kevin Ramage, Mill Street, Aberfeldy PH15 2BG, www.aberfeldywatermill.com

Bagpipes, Hamish and Fin Moore, Dunkld, Perthshire, www.hamishmoore.com

Edradour Destillery, Pitlochry, Perthshire, www.edradour.co.uk

Glamis Castle und Highland Games, www.glamis-castle.co.uk