Zürich

"Die Presse" 2007

Badespaß in Zürich

Die Schweiz ist seltsam – wenn man die Schweiz nicht kennt. Die genuine Freundlichkeit, drückt sich schon in der Sprache aus. Sie ist meist verbunden mit Begriffen, die an Diminuitive erinnern („Grüezi“) und für österreichische Besucher oft gar nicht leicht zu parieren – wer auf den schweizweiten Gruß mit einem trockenen „Guten Tag“ antwortet, fühlt sich rasch einmal in der bleischweren Rolle eines deutschen Besatzungssoldaten.

Im Jahr vor der gemeinsamen Fußball-EM ist es nun aber höchste Zeit, den oft vernachlässigten Nachbarn zu besuchen und sich eines Dosis Kennenlernen gegen die kulturelle Fremdartigkeit zu verordnen. Welche Stadt würde sich besser dafür eignen als Zürich?

Die einzige Metropole der Welt, in der man den Eindruck gewinnt, die Menschen auf den Straßen würden einander teilweise persönlich kennen, wartet schon beim Frühstück mit Besonderheiten auf. Vielleicht isst man eine „Tomatenwähe“ oder ein „Schoggigipfel“ und betritt dann eine Papierhandlung, in der einem der Angestellte unaufgefordert fragt: „Soll ich Ihnen was zeigen?“ Je ähnlicher die Kulturen, desto befremdlicher die Sitten im Vergleich! Oft wird von der konservativen Lebenshaltung der Deutschsschweizer berichtet. Doch wer die Hügel um den Zürichsee und seine Uferpromenade abgeht, wird eines besseren belehrt. Ein internationales Publikum mit Schweizer Beteiligung macht die Stadt an Sommerwochenenden zu einer großen Party. In den Wiesen des Stadtteils Enge liegen tausende Sonnensüchtige und baden wild.

Der Zürichsee selbst, der früher als „schmutzig“ galt, ist nämlich auch im Stadtgebiet durchaus zum Baden geeignet. Zudem fehlt ihm auch an heißen Tagen nicht an natürlichen Alpenfrische eines tiefen und gleichzeitig hoch gelegenen Gewässers. Einziges Problem wäre der von Natur her leicht schlammige Untergrund. Doch die Schweizer wissen das genau und schätzen Schlammfüße nicht. So hat sich eine Badekultur auf Brettern entwickelt: die schönsten kleinen Stadtbäder sind allesamt historische Baudenkmäler aus Holz, weitgehend unberührt vom Einfluss der letzten hundert Jahre und allein aus architektonischen Gründen einen Besuch wert.

Dort, wo etwa Wien den Berliner Stadtstrand- und Partyschifftrend einfach kopiert, verharrt Zürich unbeirrt in seiner nicht gerade modernen, aber durchaus originellen Badekultur. Das „Frauenbad Stadthausquai“, ein einzigartiger Ort: wie der Name schon sagt, ist die Anstalt tatsächlich nur für Frauen zugelassen. Das sogenannte „Frauenbadi“ liegt in der Limmat, nicht weit von der Mündung zum See, und aus nahe liegenden gründen darf im Flusswasser nicht gebadet werden. Lange vor der Epoche der „Badeschiffe“ wurden jedoch im Limmatwasser zwei Schwimmbecken versenkt, eines mit vier Metern Tiefe, eines für Nichtschwimmer.

Ringsherum entstand eine ruhige Zone, wo Frauen windgeschützt und ohne Männeraufmerksamkeit den Tag verbringen können: auch von den Stadtugfern der Limmat entzieht sich ein grossteil des Bades der äußeren Einsicht. Weil die Geschlechtseinheit ja etwas langweilig klingt, bietet das Frauenbadi alle möglichen Unterhaltungen und Services „von Massage bis Haareschneiden, von Henna-Tattoo bis Koscher-Glacé“ an. Und ab 20.30, nach Schließung des Badi, öffnet der Bereich auch für Männer. Die Geschlechter treffen sich in der sogenannten „Barfussbar“ zum Umtrunk oder Kulturprogramm.

Es ziemt sich nicht, die alte und kontroversielle Frage aufzuwerfen, wie lange die Frauen in Teilen der Schweiz schon – oder erst – Wahlrecht genießen. Angesichts eines Frauenbadi sollte auch keiner an islamische „Badeanlagen“ denken. In der Schweiz ist die Separation freiwillig und eine Serviceleistung. Seit der Aufhebung des Badeverbots für Frauen (1837) haben Frauen ihre zunächst verordneten Bereiche verteidigt – auch in den anderen Nostalgiebädern am See gibt es in jedem Bad zumindest einen Teil, wo Frauen unter sich bleiben.

Im „Seebad Utoquai“ an der Westküste existiert auch ein Männerdeck, wo nicht nur Einzelgänger, sondern auch männliche Pärchen ungestört auf den Planken der Sonnenterrassen liegen. Terrassen gibt es ja einige! Links Frauen, rechts Männer, in der Mitte, beim Salatbuffet, der allgemeine Treffpunkt. Das Utoquai, im See vertaut, bietet als Schwimmbecken den See selbst, zwei Flöße, auf denen die Schwimmer sich vom frischen Wasser trocknen können, und verbreitet eine die unaufdringliche Stimmung der Züricher Westküste.

Ganz anders das „Seebad Enge“ auf der Ostseite: ebenfalls ein, wie die Schweizer sagen, „Holzbadi“. Vollgepackt mit jungen Gästen schließt im gemischten Teil an heißen Tagen Handtuch nahtlos an Handtuch an. Das Wasser im kleinen Nichtschimmerbecken in der Mitte des Großfloßes ist ebenso dreckig wie nostalgisch, dafür lohnt sich eine Schwimmausflug zur Springbrunnen-Plattform, die mit Totenköpfen ein Betretverbot ausspricht, an das sich nicht alle Badenden halten. Am Abend geht es im „Strandbad Enge“ rund: die Holzplattform wird zur Diskothek und Schlangen bilden sich am Bierausschank. Hier kann der Ausländer seine neuen Worte praktizieren: „Velo“ (Fahrrad), „Töff“ (Motorrad), „Büsi“ (Katze), und das am besten beim „Dinner au lac“ an der Kioskbar.

 

 

„Frauenbad Stadthausquai“, Stadthausquai, 8001 Zürich, 7.30 - 20.00, 044/211 95 92.

„Seebad Enge“, Tonttu GmbH, Seebad Enge, Mythenquai/Arboretum, 8002 Zürich, 9-19 (in der Hauptsaison 9-20), 044/201 38 89, tonttu.ch.

„Seebad Utoquai“, Utoquai, 8008 Zürich, 9-19, 044/251 61 51.