Zypern

„Der Standard“, 20. Mai 2005



Insel der Liebe

Zuerst war da ein Felsen: Pétra tou Romioú. Aphrodite leibhaftig, heißt es, sei an dieser Stelle an Land gegangen, oder, wie böse Zungen sagen, „angeschwemmt worden“. Später war da lange Zeit gar nichts, nur wilde Küste. Jüngst wurde ein Hotel errichtet, sogar ein Intercontinental. Auch nicht schlecht. Ringsherum ein Golfplatz. Und was für einer! Golfspieler – seit es sogar beim Hofer Golfsets gibt, steigt ihre Zahl rapid an – behaupten, er zähle aufgrund der halb schluchtigen, halb milden Gesteinsformen der Umgebung zu den außergewöhnlichsten Golfplätzen des östlichen Mittelmeerraums.

Nicht nur für Golffreaks, auch für Spa-Spezialisten und Erholungssüchtige jeder Art wird das neu eröffnete „InterContinental Aphrodite Hills Resort Hotel“ im äußersten Westen Zyperns eine weithin beachtete Destination werden. Es liegt fünfzehn Minuten entfernt vom kleinen Páphos mit seinem osmanischen Fort und seinem bunten Hafen, unweit vom Pafos International Airport. Vor dem Hintergrund der zerklüfteten und dennoch weichen Naturgartenlandschaft Westzyperns beansprucht die zum Hotel gehörende Ruhezone 270 Hektar Land.

Neben dem Golfplatz und den Pools findet man im Einzugsgebiet der Liebesgöttin reizvolle Wander- und Monuntainbikewege. Auf der drittgrößten Mittelmeerinsel trifft griechische auf orientalische Kultur, und im InterContinental treffen diese Kulturen wiederum auf State-of-the-art-Erholungskultur. Finnische Sauna, türkischer Hammam, Spabereich, Fitnesscenter – angesichts des breit gefächerten Angebots ist der Besucher geneigt, seine eigenen Werbetexte zu erfinden: Wer Businesskonfort mit Leisurebedürfnissen verbinden möchte, liegt im Aphrodite Hills richtig.

Doch was, wenn ein Besucher keine Golf-Platzreife vorzuweisen hat? Wenn er, von seiner Psychostruktur und Lebensführung her, absolut keine Entspannungssucht an den Tag legt? Nehmen wir an, dieser Besucher sei ein klassischer Ignorant, ein einmal-und-nie-wieder hammamgeschädigter Saunamuffel, vor dessen innerem Auge bei der Erwähnung von Tepidarium, Caldarium, Laconium und Frigidarium befestigte römische Lager in Gallien entstehen, und nicht Höhepunkte moderner Wellnesskultur?

Nun, der Ignorant flüchtet selbstverständlich in die Natur. Auch wenn an der Rezeption des Hotels die Einschätzung vorherrscht, „the beach“ sei „not yet ready“, fühlt ein solcher Besucher einen enormen inneren Drang zum Meer. Bereitwillig greift er auf den Shuttle-Service zurück, dessen zuvorkommender Chauffeur ihm die wenigen Schritte erspart. Nehmen wir an, dieser Besucher habe einst ein humanistisches Gymnasium besucht und sei in den Genuss eines hochwertigen Altgriechischunterrichts gekommen. Weiters habe er seine Kenntnisse später nie angewandt, und sein Mythologiewissen zu Bruchstücken zusammenschrumpfen lassen. Da jedoch Bildung Bildung bleibt, gehen dem Besucher auf dem steinigen Abhang einige altgriechische Gedanken durch den Kopf.

Er erinnert sich daran, dass Aphrodite, die schaumgeborene Göttin der Liebe und Schönheit, aus dem Meer geboren wurde. Oder aus einer Muschel? Für ihn ist sie eine Elfenbeinstatuenerweckerin, eine Granatapfelbaumschenkerin, und hinter jedem ihrer Schritte blühen Rosensträucher. Wenn er die Details nur fassen könnte! Er erinnert sich vage daran, Aphrodite, eine Tochter des Zeus, habe ihren Gatten Hephaistos, den vulkanischen Gott des Feuers, unter anderem mit Hermes, Poseidon, Dionysos und dem Schafhirten Adonis hintergangen.

Außerdem sei Eros einer ihrer Söhne gewesen, den die attraktive Betrügerin mit Ares hatte, und auch Aeneas sei einer ihrer Söhne gewesen, und im Trojanischen Krieg habe sie ... nun ja, dort habe sie eben auch mitgemischt. Und außerdem, so der eventuell sogar leicht verbildete Besucher und Strandgänger, sei Aphrodite, wenn ihn nicht alles täuschte, als „Aphrodite Urania“ Vertreterin des süßen Liebesspiels gewesen, als „Aphrodite Pandemos“ Expertin im provokativen Liebesspiel, als „Aphrodite Porne“ Ausdruck der Schamlosigkeit – und schließlich als „Aphrodite Nymphia“ Schutzherrin der Ehe.

Der Besucher gibt seine Forschungen auf, um sich in die Fluten zu stürzen – bereits im April ist das zypriotische Meer bestens zum Baden geeignet. Im Hintergrund glänzt der Felsen Pétra tou Romioú in der Sonne, und der Strand ist wunderschön, gefüllt mit bunten Steinen, von der Natur ziemlich rau angelegt, aber durchaus „ready“, und das seit tausenden von Jahren. Beim Plätschern in den Wellen fällt dem Besucher ein weiterer Werbespruch ein: Insel der Liebe.

Später geht er zurück an Land, setzt seine schneeweißen Füße auf historischen Stein. „Überall, wo Aphrodite mit ihren schneeweißen Füßen den Boden berührte, entsprossen der Erde die schönsten Blumen, die aromatischsten Kräuter, die seltensten Sträucher. In den Quellen, die sie bebadet hatte, blühten Lichtnelken, Wasserminze und Lotos.“ Soll der Besucher gar einen der farbenfrohen Steine mitgehen lassen? Kurz spielt er mit dem Gedanken. Doch was wäre ein gestohlener Stein gegen die Liebe der Aphrodite?

Will der Besucher überhaupt noch zurück ins InterContinental? Selbstverständlich. Knapp vor dem Dinner springt er in den wunderbar erfrischenden Riesenpool der Hotelanlage – während alle anderen Gäste im Tepidarium schmachten, im Frigidarium frieren, in der finnischen Sauna schwitzen, hat er die 1162 Quadratmeter Poolfläche ganz für sich alleine.

„Wie war es am Aphrodite´s Beach?“, fragt die Hotelmanagerin den Besucher, als sein Kopf zwischendurch aus dem Pool auftaucht. „Ich hoffe, Sie haben keinen Stein mitgehen lassen! Wer von dort etwas mitnimmt, den trifft der Fluch der Aphrodite!“

„Nein, keineswegs ... Einen Stein würde ich niemals mitgehen lassen ...“

„Wieso?“, fragt die Hotelmanagerin mit einem verschmitzten Lächeln. „Die Steine sind doch hübsch.“

„Bin zu gebildet für Diebstahl!“, ruft der Besucher triumphierend und taucht wieder unter.